Marcus Gillsch über KI im Mittelstand, menschliche Haltung und die radikale Zukunft der Arbeit
Wenn Marcus Gillsch über Künstliche Intelligenz spricht, spürt man: Hier steht kein Technokrat – sondern ein Pionier mit Weitblick. Der ehemalige Geschäftsführer einer der größten Modeagenturen Europas hat sich früh auf KI spezialisiert. Heute gehört er zu den gefragtesten KI-Experten im deutschsprachigen Raum. Gillsch begleitet Unternehmen jeder Größe – vom Start-up bis zum Konzern – bei ihrer Reise durch das wohl dynamischste Feld seit der Erfindung des Internets.
Gerade erst trat er als Speaker beim KI-Festival „Data:Unplugged“ in Münster auf. Dort machte er klar: KI ist kein Tool, sondern eine Führungsfrage. Im Gespräch erklärt er, warum gerade der Mittelstand handeln muss, wie er Unternehmen fit für die Zukunft macht – und was echte Transformation mit Haltung zu tun hat.
„Der Mittelstand muss jetzt handeln – oder er wird überholt.“
Adrian Hergt: Marcus, die Diskussion um Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig. Warum ist gerade jetzt der richtige Moment, um zu handeln?
Marcus Gillsch: In den nächsten Jahren verlassen allein in Deutschland rund 19 Millionen Menschen den Arbeitsmarkt – altersbedingt. Das wird den Fachkräftemangel massiv verschärfen. KI kann uns helfen, diese Lücke zu schließen: nicht durch Ersetzen, sondern durch Entlastung. Wer das versteht, verschafft sich einen entscheidenden Vorteil.
Adrian Hergt: Und wer es ignoriert …?
Marcus Gillsch: Verliert. Es ist wie beim Internet – viele haben damals gezögert und heute keine Relevanz mehr. Wer KI aussitzt, verpasst nicht nur Produktivität, sondern auch Anschlussfähigkeit.
Vom Hotelier zum Change-Macher
Adrian Hergt: Dein Weg in die KI-Beratung ist ungewöhnlich – vom Hotel über Mode zum Mittelstand. Was hat dich geprägt?
Marcus Gillsch: Ich komme aus der internationalen Hotellerie – London, Paris, München. Service, Präzision und operative Exzellenz waren mein Alltag. Später habe ich als Geschäftsführer eine Modeagentur in den GUS-Staaten geleitet. Was mich stets fasziniert hat: Wie Technologie Prozesse verbessern kann – ob im Backoffice oder am Kunden.
Adrian Hergt: Und wie kam die Wende zur KI?
Marcus Gillsch: Ich wollte früh verstehen, was da auf uns zukommt. Als ChatGPT 2022 veröffentlicht wurde, war mir klar: Das verändert alles. Ich habe sofort Grundlagen- und Aufbaukurse an der WHU und der University of Cambridge absolviert – nicht nur, um vorne mitzulaufen, sondern um als First Mover echte Orientierung geben zu können.
„KI ist kein Tool – KI ist ein Mindset.“
Adrian Hergt: Du sagst, KI sei kein Technologiethema, sondern ein Mindset. Was meinst du damit?
Marcus Gillsch: KI zwingt uns, Dinge neu zu denken. Prozesse, Rollen, Verantwortung. Wer glaubt, man könne einfach eine Software einführen und alles wird gut, liegt falsch. Ohne Haltung und Offenheit funktioniert es nicht.
Adrian Hergt: Was ist der erste Schritt?
Marcus Gillsch: Daten-Readiness. Bevor wir über Anwendungen sprechen, müssen wir ehrlich prüfen: Was haben wir eigentlich an Daten? Sind sie nutzbar, zugänglich, sauber? Ohne Fundament kein Haus.
Adrian Hergt: Und wo liegt das größte Potenzial?
Marcus Gillsch: Überall, wo Menschen entlastet werden können: HR-Prozesse, Vertrieb, Einkauf. Ich denke an automatisierte Personalakten, vorausschauende Absatzprognosen oder Risikowarnsysteme für Lieferketten. Die Wirkung ist spürbar – sofort.
„Ich arbeite nie allein.“
Adrian Hergt: Wie sieht ein typisches Projekt bei dir aus?
Marcus Gillsch: Ganzheitlich. Ich komme nicht mit einer PowerPoint, sondern mit einem Team: Spezialisten für Prozesse, Change, Automatisierung, Datenmanagement – und genauso wichtig: Führung und Plattform-Ökonomie. KI betrifft alles. Deshalb denken wir auch alles mit.
KI ist keine Softwarefrage. Sie ist eine Führungs- und Kulturfrage.
Adrian Hergt: Und wie reagieren deine Kunden?
Marcus Gillsch: Zuerst vorsichtig, dann begeistert. Die meisten sehen schnell: Es geht nicht um Zukunftsmusik, sondern um konkrete Erleichterung. Jeder Workshop ist wie ein Aha-Moment – für viele sogar der Start in eine neue Arbeitswelt.
Klartext zum Wandel
Adrian Hergt: Was war dein größter Fehler in der Digitalisierung?
Marcus Gillsch: Zu viele Spielereien am Anfang. Ich habe gelernt: Ohne klare Zielgrößen und Schwellenwerte wird es beliebig. Heute setze ich auf Klarheit und Wirkung.
Adrian Hergt: Welche Frage hören Führungskräfte zu selten?
Marcus Gillsch: „Was brauchst du, damit du besser arbeiten kannst?“ – Diese Frage an Mitarbeitende bringt oft mehr als jede neue Plattform.
Adrian Hergt: Was bleibt dir aus den letzten Jahren besonders in Erinnerung?
Marcus Gillsch: Dass Wandel machbar ist. Ich war in Firmen mit 20 Leuten und in Konzernen mit 50.000 Mitarbeitenden. Wenn der Wille da ist, geht alles. Die Technik ist nie das Problem. Der Mut ist es manchmal.
Blick nach vorn: Was jetzt zählt
Adrian Hergt: Was müssen Unternehmen in den nächsten 12 Monaten tun?
Marcus Gillsch: Klarheit schaffen. Daten sortieren. Teams befähigen. Pilotprojekte starten. Nicht morgen – heute.
Adrian Hergt: Dein letztes Wort?
Marcus Gillsch: Wer heute investiert, gestaltet die Spielregeln von morgen. Wer zögert, spielt bald keine Rolle mehr.
